URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
17. September 1997(1)
[234s„Verordnungen (EWG) Nrn. 1408/71 und 574/72 Leistungen bei
Arbeitsunfähigkeit Eröffnung des Anspruchs Rahmenzeitraum
Berücksichtigung von in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten Zeiten der
Arbeitslosigkeit“[s
In der Rechtssache C-322/95
betreffend ein dem Gerichtshof gemäß Artikel 177 EG-Vertrag von der Pretura
circondariale Rom in dem bei dieser anhängigen Rechtsstreit
Emanuele Iurlaro
gegen
Istituto nazionale della previdenza sociale (INPS)
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 9a
der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung
der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige und deren
Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl.
L 149, S. 2), in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2.
Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch
die Verordnung (EWG) Nr. 2332/89 des Rates vom 18. Juli 1989 (ABl. L 224, S. 1),
und von Artikel 15 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März
1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 (ABl. L 74, S. 1) in der
durch die Verordnung Nr. 2001/83 geänderten und aktualisierten Fassung
erläßt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida
(Berichterstatter) sowie der Richter L. Sevón, D. A. O. Edward, P. Jann und
M. Wathelet,
Generalanwalt: P. Léger
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- von Herrn Iurlaro, vertreten durch die Rechtsanwälte Rosa Maffei und
Paolo Boer, Rom,
- des INPS, vertreten durch die Rechtsanwältinnen Maddalena Pittelli, Rom,
und Patrizia Ciacci, Mailand,
- der italienischen Regierung, vertreten durch Umberto Leanza, Leiter des
Servizio del contenzioso diplomatico im Ministerium für Auswärtige
Angelegenheiten, als Bevollmächtigten im Beistand von Avvocato dello
Stato Danilo Del Gaizo,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch
Antonio Aresu und Maria Patakia, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Herrn Iurlaro, vertreten durch
Rechtsanwalt Paolo Boer, des INPS, vertreten durch die Rechtsanwältinnen
Maddalena Pittelli und Patrizia Ciacci, der Kommission, vertreten durch Maria
Patakia und Paolo Stancanelli, Juristischer Dienst, in der Sitzung vom 22. Januar
1997,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. März
1997,
folgendes
Urteil
- Die Pretura circondariale Rom hat mit Beschluß vom 3. Oktober 1995, beim
Gerichtshof eingegangen am 16. Oktober 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine
Frage nach der Auslegung des Artikels 9a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des
Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf
Arbeitnehmer, Selbständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der
Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2), in der durch die Verordnung
(EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) geänderten und
aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 2332/89 des
Rates vom 18. Juli 1989 (ABl. L 224, S. 1; im folgenden: Verordnung Nr. 1408/71)
und von Artikel 15 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März
1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 (ABl. L 74, S. 1) in der
durch die Verordnung Nr. 2001/83 geänderten und aktualisierten Fassung (im
folgenden: Verordnung Nr. 574/72) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
- Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit des italienischen Staatsangehörigen
Iurlaro (Kläger) gegen das Istituto nazionale della previdenza sociale (Nationales
Institut für soziale Vorsorge; im folgenden: INPS), in dem es um die Weigerung des
INPS geht, für die Zwecke des Erwerbs des Anspruchs auf eine Leistung bei
Arbeitsunfähigkeit nach italienischem Recht die Zeiten der Arbeitslosigkeit zu
berücksichtigen, die der Kläger in Deutschland zurückgelegt hat.
- Nach den Akten war der Kläger von Januar 1954 bis März 1956 in Italien
versichert und entrichtete in diesem Rahmen in diesem Staat 110 Wochenbeiträge
zur Sozialversicherung. Danach ließ er sich in Deutschland nieder, wo er von 1959
an arbeitete und Sozialversicherungsbeiträge entrichtete. Unstreitig bezog der
Kläger vom 18. Oktober 1984 bis zum 18. Oktober 1989 Arbeitslosenunterstützung
nach deutschem Recht, mit Ausnahme des Zeitraums vom 15. August 1989 bis zum
1. Oktober 1989, in dem ihm Leistungen bei Krankheit gewährt wurden.
- Wegen einer Krankheit, die seine Erwerbsfähigkeit bei der Ausübung von seinen
Fähigkeiten entsprechenden Beschäftigungen zu über zwei Dritteln einschränkte,
beantragte er beim INPS eine Invaliditätsunterstützung in Italien gemäß Artikel 1
des Gesetzes Nr. 222 vom 12. Juni 1984 zur Bereinigung der
Invaliditätsrentenregelung (GURI Nr. 165 vom 16. Juni 1984; im folgenden: Gesetz
Nr. 222).
- Nach Artikel 4 des Gesetzes Nr. 222 entsteht der Anspruch auf
Invaliditätsunterstützung und Arbeitsunfähigkeitsrente nur dann, wenn die Versicherungs- und Beitragsvoraussetzungen gemäß Artikel 9 Absatz 2 des Decreto-legge Nr. 636
vom 14. April 1939, umgewandelt in das Gesetz Nr. 1272 vom 6. Juli 1939, erfüllt
sind. Nach dieser Vorschrift, die durch Artikel 2 des Gesetzes Nr. 218 vom 4. April
1952 über die Reform der Renten aufgrund der Invaliditäts-, Alters- und
Hinterbliebenenpflichtversicherung (GURI Nr. 89 vom 15. April 1952, Supplemento
ordinario) in der durch das Gesetz Nr. 222 geänderten Fassung ersetzt wurde,
müssen zu diesem Zweck mindestens fünf Jahre seit dem Versicherungsbeginn
vergangen sein, und es müssen mindestens 260 Wochenbeiträge (fünf
Jahresbeiträge) für den Versicherten eingezahlt oder ihm gutgeschrieben worden
sein, davon mindestens 156 (drei Jahresbeiträge) in den letzten fünf Jahren vor
Beantragung der Leistung.
- Nach Artikel 4 des Gesetzes Nr. 218 müssen ferner „die Zeiten, für die die
normalen Leistungen aus der Arbeitslosenpflichtversicherung gezahlt werden, im
Hinblick auf den Rentenanspruch und die Höhe der Rente als Beitragszeiten
berücksichtigt werden“.
- Ferner geht aus dem Vorlagebeschluß hervor, daß gemäß § 43 des deutschen
Sozialgesetzbuches (BGBl. III 860) in der Fassung des Gesetzes zur Reform der
gesetzlichen Rentenversicherung vom 28. Dezember 1989 (BGBl. I S. 2261) die
Versicherten bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen
Berufsunfähigkeit haben, wenn sie berufsunfähig sind, in den letzten fünf Jahren
vor Eintritt der Berufsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeitragszeiten aufzuweisen
haben und vor Eintritt der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt
haben.
- Nach derselben Bestimmung verlängert sich der Rahmenzeitraum von fünf Jahren
vor Eintritt der Berufsunfähigkeit um den Beitragszeiten gleichgestellte Zeiten
(Anrechnungszeiten), zu denen gemäß § 58 Sozialgesetzbuch die Zeiten gehören,
in denen der Arbeitnehmer in Deutschland arbeitslos gemeldet war und eine
öffentlich-rechtliche Leistung bezog. Für diese Zeiten, die auf diese Weise für die
Bestimmung des Rahmenzeitraums, jedoch nicht als Beitragszeiten für den Erwerb
des Rentenanspruchs in Deutschland berücksichtigt werden, werden im übrigen
fiktive Beiträge für die Zwecke der Berechnung der Höhe der Rente gewährt.
- Der Antrag des Klägers wurde vom INPS mit der Begründung abgelehnt, daß die
Mindestbeitragsvoraussetzung nach dem Gesetz Nr. 222 nicht erfüllt sei. Zwar habe
der Kläger seit 1954 110 Wochenbeiträge in Italien und 854 Wochenbeiträge in
Deutschland entrichtet, er habe jedoch im Rahmenzeitraum gemäß Artikel 4 des
Gesetzes Nr. 222, der sich im vorliegenden Fall auf die Zeit vom 18. Oktober 1984
bis zum 18. Oktober 1989 erstrecke, in Deutschland Arbeitslosenunterstützung
bezogen und keine Sozialversicherungsbeiträge entrichtet.
- Nach Ablehnung eines Widerspruchs gegen diese Entscheidung erhob der Kläger
am 24. Juni 1994 Klage bei der Pretura circondariale Rom; zur Begründung machte
er geltend, daß die Beitragsvoraussetzung nach dem Gesetz Nr. 222 insbesondere
deshalb erfüllt sei, weil die Verlängerung des im deutschen Recht vorgesehenen
Rahmenzeitraums um die Zeiten der Arbeitslosigkeit dazu geführt habe, daß der
bei der Anwendung des italienischen Rechts zu berücksichtigende Rahmenzeitraum
am 18. Oktober 1978 begonnen habe.
- Unter Berufung auf Artikel 48 EG-Vertrag wirft die Pretura circondariale Rom die
Frage auf, ob von der Anwendung der Regel des Artikels 4 des Gesetzes Nr. 222
Abstand zu nehmen sei, weil diese gegen Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe f der
Verordnung Nr. 574/72 verstoße; diese Bestimmung lautet:
„Für die Zusammenrechnung der Zeiten nach Artikel 18 Absatz 1, Artikel 38,
Artikel 45 Absätze 1 bis 3, Artikel 64 sowie Artikel 67 Absätze 1 und 2 der
Verordnung gilt folgendes:
...
f) Ist nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die Berücksichtigung
gewisser Versicherungs- oder Wohnzeiten davon abhängig, daß sie während
einer bestimmten Frist zurückgelegt worden sind, so verfährt der Träger,
der diese Rechtsvorschriften anwendet, wie folgt:
...
ii) er verlängert diese Frist um die gesamte Dauer oder einen Teil der
Dauer der nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats
während dieser Frist zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten,
sofern es sich um Versicherungs- oder Wohnzeiten handelt, die nach
den Rechtsvorschriften des zweiten Mitgliedstaats lediglich die
Aussetzung der Frist zur Folge haben, innerhalb deren Versicherungs-
oder Wohnzeiten zurückgelegt sein müssen.“
- Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist diese Bestimmung nicht klar, da im
übrigen nach Artikel 9a der Verordnung Nr. 1408/71 dessen Anwendung von der
Voraussetzung abzuhängen scheine, daß die Rechtsvorschriften beider Staaten die
„Neutralisierung“ bestimmter Zeiträume vorsähen, so daß diese Bestimmung nicht
gelte, wenn diese Möglichkeit nur in einem der beiden Mitgliedstaaten (im
vorliegenden Fall Deutschland im Gegensatz zu Italien) vorgesehen sei.
- Artikel 9a der Verordnung Nr. 1408/71 lautet: „Ist nach den Rechtsvorschriften
eines Mitgliedstaats der Anspruch auf Leistungen davon abhängig, daß der
Arbeitnehmer oder Selbständige in einem festgelegten Zeitraum (Rahmenzeitraum)
vor Eintritt des Versicherungsfalles eine bestimmte Mindestversicherungszeit
zurückgelegt hat, und sehen diese Rechtsvorschriften vor, daß Zeiten, in denen
Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates gewährt wurden, oder
Zeiten der Kindererziehung im Gebiet dieses Mitgliedstaats diesen
Rahmenzeitraum verlängern, dann verlängert sich dieser Rahmenzeitraum auch
durch Zeiten, in denen Invaliditäts- oder Altersrente oder Leistungen wegen
Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Arbeitsunfällen (mit Ausnahme von Renten) nach
den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gezahlt wurden, und durch
Zeiten der Kindererziehung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats.“
- Wegen dieser Zweifel hat die Pretura circondariale Rom das Verfahren ausgesetzt
und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Sind die
Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe f der Verordnung Nr. 574/72 und 9a der durch die
Verordnung Nr. 2332/89 geänderten Verordnung Nr. 1408/71 im Lichte von Artikel
48 des Vertrages dahin auszulegen, daß Artikel 4 des Gesetzes Nr. 222 so
anzuwenden ist, daß sich der Rahmenzeitraum für die Gewährung der
Invaliditätsrente dann verlängert, wenn der Arbeitnehmer in einem anderen
Mitgliedstaat (im vorliegenden Fall in Deutschland), in dem eine solche
Verlängerung vorgesehen ist, Arbeitslosenunterstützung bezogen hat, und wenn ja,
ist diese Verlängerung gegebenenfalls von Bedingungen abhängig?
- Mit dieser Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob die Artikel 48 bis 51 des
Vertrages, Artikel 9a der Verordnung Nr. 1408/71 und Artikel 15 Absatz 1
Buchstabe f Ziffer ii der Verordnung Nr. 574/72 so auszulegen sind, daß sie einen
Mitgliedstaat verpflichten, den nach seinen Rechtsvorschriften für die Bestimmung
der Mindestversicherungsvoraussetzung vorgesehenen Rahmenzeitraum im Hinblick
auf die Gewährung einer Leistung bei Arbeitsunfähigkeit um einen Zeitraum zu
verlängern, der den vom Betroffenen nach den Rechtsvorschriften eines anderen
Mitgliedstaats zurückgelegten Zeiten der Arbeitslosigkeit entspricht, wenn diese
Rechtsvorschriften im Unterschied zu denjenigen des ersten Mitgliedstaats eine
solche Verlängerung zulassen, falls die Zeiten der Arbeitslosigkeit im Inland
zurückgelegt wurden.
- Während nach den auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren
italienischen Rechtsvorschriften Zeiten der Arbeitslosigkeit, für die eine
Unterstützung gewährt wurde, sowohl für die Zwecke der Eröffnung des
Rentenanspruchs als auch für die Zwecke der Berechnung der Höhe der Rente als
Beitragszeiten angerechnet werden, wurden nach deutschem Recht für den
Zeitraum, in dem ein Arbeitnehmer Leistungen bei Arbeitslosigkeit in diesem
Mitgliedstaat bezieht, fiktive Beiträge zur Bestimmung der Höhe der Rente gewährt
und wird der Rahmenzeitraum von fünf Jahren für die Berechnung der
Mindestbeitragsvoraussetzung für die Anerkennung des Rentenanspruchs um diese
Zeiten verlängert.
- Die Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels 9a der Verordnung Nr.
1408/71, auf den sich die Vorlagefrage bezieht, sind somit nicht erfüllt. Wie der
Generalanwalt in Nummer 51 seiner Schlußanträge hervorgehoben hat, ergibt sich
schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, daß sie nur für den Fall gilt, daß die
Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, nach denen der Anspruch auf eine Leistung
von der Zurücklegung einer Mindestversicherungszeit innerhalb eines
Rahmenzeitraums abhängig ist, selbst die Verlängerung dieses Zeitraums um
Zeiträume zulassen, in denen bestimmte Leistungen, namentlich Leistungen bei
Arbeitslosigkeit, in einem anderen Mitgliedstaat gewährt wurden. Dies ist jedoch
bei Rechtsvorschriften wie den italienischen, die für den Sachverhalt desAusgangsverfahrens gelten, nicht der Fall, nach denen die Zeiten der
Arbeitslosigkeit diesen Rahmenzeitraum nicht verlängern.
- Für den Kläger gelten des weiteren ausschließlich Rechtsvorschriften über
Leistungen bei Invalidität des sogenannten Typs B, bei denen der Betrag der
Leistungen nach Maßgabe der zurückgelegten Versicherungszeiten festgesetzt wird.
Für diesen Fall bestimmt Artikel 40 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, daß der
betreffende Arbeitnehmer oder Selbständige Leistungen in entsprechender
Anwendung von Kapitel 3 (Artikel 44 bis 51) betreffend Leistungen bei Alter und
Tod (Renten) erhält.
- Nach Artikel 45 Absatz 1 dieser Verordnung muß der Träger eines Mitgliedstaats,
nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb des Anspruchs auf Leistungen bei Alter
davon abhängt, daß Versicherungszeiten zurückgelegt worden sind, die nach den
Rechtsvorschriften jedes anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Versicherungszeiten
berücksichtigen, als ob es sich um nach den von ihm anzuwendenden
Rechtsvorschriften zurückgelegte Zeiten handelte.
- Insoweit bestimmt Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe f Ziffer ii der Verordnung Nr.
574/72, der für „die Zusammenrechnung der Zeiten nach Artikel 18 Absatz 1,
Artikel 38, Artikel 45, Absätze 1 bis 3, Artikel 64 sowie Artikel 67 Absätze 1 und
2 der Verordnung“ gilt, daß der Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen
Rechtsvorschriften die Berücksichtigung gewisser Versicherungszeiten davon
abhängt, daß sie während einer bestimmten Frist zurückgelegt worden sind, diese
Frist um die Dauer der nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats
während dieser Frist zurückgelegten Versicherungszeiten verlängern muß, sofern
es sich um Versicherungszeiten handelt, die nach den Rechtsvorschriften des
zweiten Mitgliedstaats lediglich die Aussetzung der Frist zur Folge haben können,
innerhalb deren Versicherungszeiten zurückgelegt worden sein müssen.
- Jedoch haben in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens die während des nach
den italienischen Rechtsvorschriften zu berücksichtigenden Rahmenzeitraums nach
den deutschen Rechtsvorschriften zurückgelegten Zeiten der Arbeitslosigkeit nach
diesen Rechtsvorschriften nicht nur die Aussetzung der Frist zur Folge, innerhalb
deren Versicherungszeiten zurückgelegt worden sein müssen. Denn aus
Randnummer 16 des vorliegenden Urteils geht hervor, daß nach den im
Ausgangsverfahren anwendbaren deutschen Rechtsvorschriften Zeiten der
Arbeitslosigkeit, für die eine Unterstützung gewährt wurde, auch bei der
Berechnung des Betrages der Leistung bei Berufsunfähigkeit berücksichtigt werden.
- Daher ist Artikel 15 der Verordnung Nr. 574/72 auf den vorliegenden Fall nicht
anwendbar, ohne daß auch nur zu prüfen wäre, ob diese Bestimmung für Fälle gilt,
in denen, wie im Ausgangsverfahren, Artikel 45 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht
unmittelbar, sondern nach Artikel 40 der Verordnung entsprechend anwendbar ist.
- Schließlich regeln nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (insbesondere Urteil
vom 20. September 1994 in der Rechtssache C-12/93, Drake, Slg. 1994, I-4337,
Randnr. 26) Artikel 51 EG-Vertrag und die Verordnung Nr. 1408/71 nicht die
Voraussetzungen für die Entstehung von Versicherungszeiten, so daß es Sache
jedes Mitgliedstaats ist, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen eine Person
einem System der sozialen Sicherheit beitreten kann oder muß, solange es dabei
nicht zu einer diskriminierenden Unterscheidung zwischen Inländern und
Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten kommt.
- Im vorliegenden Fall wenden die italienischen Rechtsvorschriften dadurch, daß sie
für die Verlängerung des Rahmenzeitraums von fünf Jahren für die Berechnung
der Mindestversicherungsvoraussetzung für die Gewährung einer Leistung bei
Invalidität die Anrechnung der Zeiträume nicht zulassen, in denen der Betroffene
Zeiten der Arbeitslosigkeit nach seinen eigenen Rechtsvorschriften oder nach
denjenigen eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt hat, objektive Kriterien an,
die unterschiedslos für inländische Arbeitnehmer und solche aus anderen
Mitgliedstaaten gelten.
- Daher sind die Artikel 48 bis 51 des Vertrages, Artikel 9a der Verordnung Nr.
1408/71 und Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe f Ziffer ii der Verordnung Nr. 574/72
so auszulegen, daß sie einen Mitgliedstaat nicht verpflichten, den in seinen
Rechtsvorschriften für die Bestimmung der Mindestversicherungsvoraussetzung für
die Gewährung einer Leistung bei Invalidität vorgesehenen Rahmenzeitraum um
einen Zeitraum zu verlängern, der den vom Betroffenen nach den
Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Zeiten der
Arbeitslosigkeit entspricht, wenn diese Rechtsvorschriften im Unterschied zu
denjenigen des ersten Mitgliedstaats die Verlängerung zulassen, falls die Zeiten der
Arbeitslosigkeit im Inland zurückgelegt wurden.
- Der Kläger und die Kommission machen noch geltend, daß der italienische Träger
bei der Anwendung der Zusammenrechnungsvorschriften des Artikels 45 Absatz
1 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht nur in Italien im streitigen Rahmenzeitraum
zurückgelegte Zeiten der Arbeitslosigkeit, sondern auch solche in Deutschland
zurückgelegte Zeiten berücksichtigen müsse, selbst wenn nach den
Rechtsvorschriften des letztgenannten Staates die Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht
für die Zwecke des Erwerbs des Anspruchs auf die Leistung bei Invalidität
berücksichtigt würden. Der Kläger habe in den letzten fünf Jahren vor der Stellung
seines Antrags auf Leistungen bei Invalidität in Italien in Deutschland Zeiten der
Arbeitslosigkeit von mehr als drei Jahren zurückgelegt. Daher erfülle er die
Voraussetzungen des Artikels 4 des Gesetzes Nr. 222, wonach in den letzten fünf
Jahren vor dem Leistungsantrag des Betroffenen 156 Wochenbeiträge (drei
Jahresbeiträge) für ihn eingezahlt oder ihm gutgeschrieben worden sein müßten.
- Der Ausdruck „Versicherungszeiten“ wird in Artikel 1 Buchstabe r der Verordnung
Nr. 1408/71 definiert als „Beitrags-, Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer
selbständigen Tätigkeit, die nach den Rechtsvorschriften, nach denen sie
zurückgelegt worden sind oder als zurückgelegt gelten, als Versicherungszeiten
bestimmt oder anerkannt sind, sowie alle gleichgestellten Zeiten, soweit sie nach
diesen Rechtsvorschriften als den Versicherungszeiten gleichwertig anerkannt sind“.
- Somit bezeichnet der Begriff „Versicherungszeiten“ insbesondere für die Zwecke
der Anwendung des Artikels 45 der Verordnung Nr. 1408/71 die Zeiten, die nach
den Rechtsvorschriften, nach denen sie zurückgelegt worden sind, als solche
bestimmt oder anerkannt sind (vgl. für gleichgestellte Zeiten insbes. Urteil vom 7.
Februar 1990 in der Rechtssache C-324/88, Vella u. a., Slg. 1990, I-257), jedoch
vorbehaltlich der Beachtung der Artikel 48 bis 51 des Vertrages (vgl. in diesem
Sinne insbesondere Urteil vom 15. Oktober 1991 in der Rechtssache C-302/90,
Faux, Slg. 1991, I-4875, Randnrn. 25 bis 28).
- Nationale Rechtsvorschriften, die für die Eröffnung des Anspruchs auf
Invaliditätsunterstützung nur Versicherungszeiten in der Arbeitslosenversicherung
berücksichtigen, die im Inland zurückgelegt wurden, nicht jedoch in anderen
Mitgliedstaaten zurückgelegte Zeiten dieser Art, verstoßen gegen die genannten
Bestimmungen des Vertrages.
- Denn ein solches Erfordernis, für das kein objektiver Rechtfertigungsgrund
vorgetragen worden ist und das Wandererwerbstätige gegenüber Erwerbstätigen,
die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht ausgeübt haben, benachteiligt, ist als
diskriminierend einzustufen und verstößt daher gegen die Grundregeln des
Vertrages, die die Freizügigkeit der Erwerbstätigen gewährleisten sollen.
- Jedoch haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof das INPS und
die italienische Regierung unwidersprochen vorgetragen, daß die italienische
Regelung die Gleichstellung von Zeiten der Arbeitslosigkeit mit Beitragszeiten für
die Berechnung der Eröffnung des Anspruchs auf eine Leistung bei Invalidität auf
sechs Monate begrenzt.
- In Anbetracht dieses Vorbringens, dessen Richtigkeit das nationale Gericht zu
prüfen hat, ist festzustellen, daß es die Artikel 48 bis 51 des Vertrages nicht
verbieten, daß die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie diejenigen Italiens
die Berücksichtigung von in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten Zeiten der
Arbeitslosigkeit für die Gewährung einer Leistung bei Invalidität auf sechs Monate
beschränken, sofern diese Beschränkung auch dann gilt, wenn die Zeiten der
Arbeitslosigkeit im Mitgliedstaat des zuständigen Trägers zurückgelegt wurden.
- Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, daß die Artikel 48 bis 51 des
Vertrages, Artikel 9a der Verordnung Nr. 1408/71 und Artikel 15 Absatz 1
Buchstabe f Ziffer ii der Verordnung Nr. 574/72 einen Mitgliedstaat nicht
verpflichten, den in seinen Rechtsvorschriften für die Bestimmung der
Mindestversicherungsvoraussetzung für die Gewährung einer Leistung bei
Invalidität vorgesehenen Rahmenzeitraum um einen Zeitraum zu verlängern, der
den vom Betroffenen nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats
zurückgelegten Zeiten der Arbeitslosigkeit entspricht, wenn diese
Rechtsvorschriften im Unterschied zu denjenigen des ersten Mitgliedstaats die
Verlängerung zulassen, falls die Zeiten der Arbeitslosigkeit im Inland zurückgelegt
wurden. Ferner verbieten es die Artikel 48 bis 51 des Vertrages nicht, daß die
Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die Berücksichtigung von in einem
bestimmten Zeitraum vor dem Eintritt des Versicherungsfalls nach den
Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Zeiten der
Arbeitslosenversicherung für die Zwecke der Berechnung der
Mindestversicherungsvoraussetzung für die Gewährung einer Leistung bei
Invalidität nicht über die Zeiten hinaus zulassen, die nach den Rechtsvorschriften
des ersten Mitgliedstaats innerhalb dieses Zeitraums berücksichtigt werden.
Kosten
- Die Auslagen der italienischen Regierung und der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht
erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hatDER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm von der Pretura circondariale Rom mit Beschluß vom 3. Oktober 1995
vorgelegte Frage für Recht erkannt:
Die Artikel 48 bis 51 EG-Vertrag, Artikel 9a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71
des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit
auf Arbeitnehmer, Selbständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der
Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83
des Rates vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch
die Verordnung (EWG) Nr. 2332/89 des Rates vom 18. Juli 1989, und Artikel 15
Absatz 1 Buchstabe f Ziffer ii der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom
21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch
die Verordnung Nr. 2001/83 geänderten und aktualisierten Fassung sind so
auszulegen, daß sie einen Mitgliedstaat nicht verpflichten, den in seinen
Rechtsvorschriften für die Bestimmung der Mindestversicherungsvoraussetzung für
die Gewährung einer Leistung bei Invalidität vorgesehenen Rahmenzeitraum um
einen Zeitraum zu verlängern, der den vom Betroffenen nach den
Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Zeiten der
Arbeitslosigkeit entspricht, wenn diese Rechtsvorschriften im Unterschied zu
denjenigen des ersten Mitgliedstaats die Verlängerung zulassen, falls die Zeiten der
Arbeitslosigkeit im Inland zurückgelegt wurden. Ferner verbieten es die Artikel 48
bis 51 des Vertrages nicht, daß die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die
Berücksichtigung von in einem bestimmten Zeitraum vor dem Eintritt des
Versicherungsfalls nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats
zurückgelegten Zeiten der Arbeitslosenversicherung für die Zwecke der Berechnung
der Mindestversicherungsvoraussetzung für die Gewährung einer Leistung bei
Invalidität nicht über die Zeiten hinaus zulassen, die nach den Rechtsvorschriften
des ersten Mitgliedstaats innerhalb dieses Zeitraums berücksichtigt werden.
Moitinho de AlmeidaSevón
Edward
Jann Wathelet
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. September 1997.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
J. C. Moitinho de Almeida
1: Verfahrenssprache: Italienisch.